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Die Weisheit ruft auf den Straßen, auf den Plätzen erschallt ihre Stimme; … Dann schreit ihr nach mir, doch ich antworte nicht, ihr werdet mich suchen und nirgends finden. … Alle, die sich nichts sagen lassen, gehen an ihrer Halsstarrigkeit zugrunde, und die Sorglosen und Selbstsicheren bringt ihr Eigensinn ums Leben. Doch alle, die auf mich hören, haben nichts zu befürchten, Not und Unglück bleiben ihnen erspart. Sprüche 1:20, 28, 32-33
Jonas wischte mit dem Finger über den Bildschirm seines Tablets und tat die Benachrichtigung mit einem ungeduldigen Seufzer ab. Es war ein weiterer Artikel, den seine Schwester Cláudia geteilt hatte: “Die Gefahren aggressiver Verschuldung in Krisenzeiten”. Er archivierte die Nachricht, ohne sie zu lesen.
“Ich weiß, was ich tue”, murmelte er vor sich hin.
Er war auf dem Gipfel der Welt, oder zumindest auf dem Gipfel seiner Welt. Seine Baufirma, “Jonas Bau”, hatte den Auftrag für eine Luxuswohnanlage erhalten, sein bisher größtes Projekt. Er hatte es mit einer kühnen Strategie erreicht: maximale Hebelwirkung, hohe Bankkredite und das Versprechen einer Lieferung in Rekordzeit. Die “Alten” in der Branche nannten ihn unbesonnen. Er nannte sich einen Visionär.
Die Stimme der Weisheit war für Jonas nur Hintergrundrauschen.
Sie schrie auf dem öffentlichen Platz seines Alltags. Da war sein Bankberater, ein vorsichtiger Mann, der ihm riet: “Jonas, dieser variable Zinssatz ist eine gefährliche Wette. Die Lage kann sich ändern.” Jonas ignorierte ihn und strebte nach einem höheren Anfangskredit.
Da war sein Bauleiter, der alte Batista, mit seinen schwieligen Händen und jahrzehntelanger Erfahrung, der sagte: “Doktor Jonas, wir können nicht am Fundament sparen. Der Boden hier ist trügerisch. Ein stärkerer Regen …” Jonas unterbrach ihn mit einer Geste und warf ihm vor, pessimistisch zu sein und den Zeitplan verzögern zu wollen.
Da war seine Frau, die ihn bat, gemeinsam die Finanzen durchzugehen, eine Reserve zu bilden.
“Wir leben am Limit, Jonas. Was ist, wenn etwas schiefgeht?”
Er antwortete mit Arroganz: “Vertrau mir. Scheitern ist was für Schwächlinge.”
Er hasste Belehrung und verspottete jeden Tadel. Er hielt Vorsicht für eine Schwäche und Klugheit für ein Synonym für Feigheit. Er war der Herr seines Schicksals, der Architekt seines Erfolgs.
Dann kam die Katastrophe. Nicht wie ein Donnerschlag, sondern wie ein feiner, anhaltender Regen, den anfangs niemand ernst nahm. Eine kleine Änderung in der Wirtschaftspolitik der Regierung ließ die Zinssätze in die Höhe schnellen. Die Kosten für seinen Kredit verdoppelten sich über Nacht. Dann kamen die Sommerregen, stärker als vorhergesagt. Der Baugrund begann nachzugeben, genau wie Batista gewarnt hatte, und beeinträchtigte einen Teil der Struktur.
Das Unheil, das er so sehr verachtet hatte, verschlang ihn bei lebendigem Leibe.
Die Anrufe der Gläubiger wurden zu seiner Hintergrundmusik. Die Lieferanten stellten ihre Lieferungen ein. Der Kunde drohte, den Vertrag zu kündigen. Panik, ein Gefühl, das er nicht kannte, nistete sich wie ein gewalttätiger Mieter in seiner Brust ein.
Verzweifelt begann er, die Hilfe zu suchen, die er einst abgelehnt hatte.
Er rief den Bankberater an und flehte um eine Umschuldung. Die Stimme am anderen Ende war kalt und förmlich: “Es tut mir leid, Herr Jonas, aber wir können im Moment nichts tun. Sie waren sich der Risiken bewusst.”
Er suchte nach dem Bauleiter Batista, der bereits gekündigt hatte. Er hinterließ mehrere Nachrichten.
“Ich brauche Ihren Rat! Was soll ich tun?” Die Nachrichten blieben unbeantwortet.
Abends fand er seine Frau im Wohnzimmer, das Gesicht gezeichnet, mit einem Stapel Rechnungen auf dem Tisch.
“Du hattest recht”, sagte er mit gebrochener Stimme. “Wir müssen reden. Hilf mir, das zu verstehen.”
Sie blickte ihn an, und zum ersten Mal sah er nicht Liebe oder Bewunderung, sondern eine tiefe Erschöpfung.
“Ich habe es versucht, Jonas. Monatelang habe ich es versucht. Jetzt … weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll.”
Es war das exakte Echo des Sprichworts. Er rief nun nach ihnen, aber sie antworteten nicht. Er suchte sie mitten in der Nacht, fand aber nur Stille. Die Weisheit, die er verachtet hatte, weigerte sich nun, ihm in seiner größten Not zu dienen.
Sitzend in seinem luxuriösen Wohnzimmer, das bald nicht mehr seines sein würde, öffnete Jonas das Tablet. Der Artikel seiner Schwester war noch da, im Archiv. Er las ihn. Jeder Absatz war eine genaue Beschreibung seines Untergangs. Die Weisheit war die ganze Zeit da gewesen. Sie war nicht verborgen. Sie hatte auf den Straßen geschrien, in den Ratschlägen, in den Warnungen.
Er war kein Opfer von Pech oder einer tückischen Wirtschaft gewesen. Er war Opfer seiner eigenen Arroganz geworden. Er hatte seinen Spott geliebt und das Wissen gehasst. Und nun kostete er die bittere Frucht seines eigenen Weges, gesättigt von seinen eigenen Machenschaften. Der einzige Klang, der blieb, war die ohrenbetäubende Stille all der Stimmen, die er sich geweigert hatte zu hören.
(Hergestellt mit KI)